Geschichtlicher Abriss

Kloster- bzw. Stiftsgeschichte

Stadtansicht 1646 - Kupferstich Mathäus Merian d.Ä.

Erstmals im Jahre 1219 wird die Kirche St. Martin in Oberwesel zusammen mit ihrem Pleban Theoderich erwähnt. Möglicherweise bestand schon am Ende des 13. Jahrhunderts an der Kirche eine stiftsähnliche Gemeinschaft, die dann 1303 ihre rechtliche Verfassung erhielt. Am 12. Dezember dieses Jahres errichtete Erzbischof Dieter von Trier mit Zustimmung des zuständigen Archidiakons von Karden und der Inhaber des Patronatsrechtes, einem Ritter und Edelknechten von der Schönburg, an der Kirche St. Martin zu Oberwesel ein Kollegiatstift mit Propst, Dekan und fünf Kanonikern. Der Propst wurde dabei ausdrücklich von der Residenz und Seelsorgeverpflichtungen befreit.

Die Entwicklung des Stifts St. Martin in Oberwesel gestaltete sich nicht sehr positiv, was auch in einer sehr schlechten Überlieferungssituation zum Ausdruck kommt. Allein die Tatsache, dass sich die Bauarbeiten an der Kirche bis weit in das 15. Jahrhundert hinein erstreckten, weist auf größere wirtschaftliche Schwierigkeiten. Möglicherweise hatte das Stift auch durch die Belagerung und Beschießung von Oberwesel in den Jahren 1390 und 1391 Schaden genommen. Auch um die innere Disziplin scheint es nicht besonders gut bestellt gewesen zu sein, da in Reformbestimmungen des Trierer Erzbischofs Otto von 1422 und 1429 auf Missstände im Chor- und im Gottesdienst hingewiesen wird, ebenso aber auch in der Lebensführung der Stiftsangehörigen.

Stadtbefestigung [Bild: Heinz Straeter]

Der wirtschaftliche, aber auch der personelle Bestand des Stifts nahm weiter stetig ab. In einem Reformdekret von 1576 reduzierte der Trierer Erzbischof Jakob von Eltz die Zahl der Kanoniker von fünf auf zwei. In der folgenden Zeit hat sich das Stift zwar nicht in kirchenrechtlicher – förmlich aufgehoben wurde es erst 1802 und auch seine Propstei wurde bis zuletzt besetzt –, aber doch in wirtschaftlicher und personeller Hinsicht weitgehend aufgelöst. Nach dem Tod oder Weggang des Dekans Christian Kullner (1587 – nach 1591) erfolgte keine Präsentation für Dekane mehr. An ihre Stelle traten Ernennungen zur Pastoria Oberwesel durch die Erzbischöfe von Trier. Der letzte bekannte Kanoniker Jakob Kurn starb 1581, danach erfolgten auch keine Präsentationen für Kanoniker mehr. Bei der Ernennung des Dekans Kullner 1587 bestand das Stift also nur noch aus einer Person. „Es war praktisch erloschen, wenn es auch rechtlich nicht aufgehoben wurde“ (Pauly S. 496).

Der Pfarrer und Dekan Werner Rühl (1625 – 1647) von St. Martin „war es, der bald nach seinem Amtsantritt dem Trierer Erzbischof das ganze Elend des zusammengebrochenen Stifts schilderte: Er sei wirtschaftlich noch nicht einmal mehr in der Lage, einen Kaplan zu halten, und deshalb gezwungen, zusammen mit dem Lehrer die unerträgliche Last des ganzen Choroffiziums zu tragen“ (Pauly S. 430). Wie man am Beispiel Rühls erkennen kann, führten die Inhaber der pastoria von St. Martin den Dekanstitel zunächst weiter, doch scheint diese Titulatur unter seinem Nachfolger Philipp Saxler von Oberwesel (1647 – 1655) dann endgültig aufgegeben worden zu sein. Im 17. und 18. Jahrhundert reichten die gesamten Einkünfte nur noch für den Lebensunterhalt eines Pfarrers aus.

Nachnutzung, späteres Schicksal (Kirche, Gebäude, Anlage)

1803 wurde die Kirche St. Martin Annexkirche zur Liebfrauenkirche, die zur Pfarrkirche für ganz Oberwesel und zur Hauptkirche des Kantons Bacharach erhoben wurde. Dieser Rechtszustand gilt auch heute noch, allerdings führt die Pfarrei mit zwei Kirchen den Namen „Liebfrauen und St. Martin“.

Empfohlene Zitierweise

Schmid, Reinhard: Oberwesel - Stift St. Martin. Geschichtlicher Abriss. In: Klöster und Stifte in Rheinland-Pfalz, URL: <http:⁄⁄www.klosterlexikon-rlp.de//mittelrhein-lahn-taunus/oberwesel-stift-st-martin/geschichtlicher-abriss.html> (Letzter Aufruf: 18.04.24)